Energiewende: Empfehlungen für ein gerechteres und grüneres Europa - von Armut betroffene Bürgerinnen und Bürger bringen sich ein
Die Energiewende betrifft uns alle. Nicht jeder verfügt jedoch über dieselben Mittel, um sich daran vollkommen zu beteiligen. Für eine größtmögliche Zustimmung zu einer saubereren und nachhaltigen Energiepolitik müssen die Europäische Union und die Mitgliedstaaten massiv in die Infrastruktur investieren (Wohnungsbau, Mobilität, Energie) und die Steuer- und Sozialsysteme reformieren, ohne dass dadurch der soziale Zusammenhalt in Gefahr gerät. Billigkeit spielt dabei ein zentrale Rolle: Die sozial schwächsten Bürgerinnen und Bürger sind zur Annahme verbindlicher Maßnahmen bereit, wenn die Folgen für alle gerecht und angemessen sind. Dies ist das wichtigste Fazit des von der König-Baudouin-Stiftung koordinierten Projekts ‚Fair Energy Transition for All‘. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Energiekrise gewinnen die Empfehlungen noch an zusätzlicher Bedeutung.
Das einmalige und partizipative Forschungsprojekt ‚Fair Energy Transition for All‘ (FETA) wurde 2020 von der König-Baudouin-Stiftung in Zusammenarbeit mit fünf philanthropischen Organisationen gestartet. Im Laufe des Projekts erhielten 900 von Armut betroffene europäische Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit, ihre Bedürfnisse und Sorgen angesichts der Energiewende vorzutragen. Ziel: diese Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der zukünftigen Energiepolitik zu Wort kommen zu lassen. Insgesamt gab es fast 100 Gesprächsgruppen in neun europäischen Ländern (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen und Spanien).
Trotz ihrer schwierigen Lage sind sich die Teilnehmenden der Notwendigkeit von Veränderungen bewusst und bereit, verbindliche Maßnahmen zu akzeptieren, die sie zwingen, ihre Gewohnheiten zu ändern, solange die Konsequenzen für alle gerecht sind. Haben sie jedoch das Gefühl, eine zu große Last tragen zu müssen, könnte ihr Misstrauen gegenüber der Politik und der „wohlhabenden Elite“ die staatlichen Programme zur Bekämpfung des Klimawandels unterminieren.
Empfehlungen
Auf Grundlage der erhaltenen Informationen haben Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen für die europäischen Behörden und die nationalen Regierungen konkrete Ansätze erarbeitet. Diese Empfehlungen der Sachverständigen wurden anschließend den von Armut betroffenen Bürgerinnen und Bürgern erneut vorgelegt - eine originelle Vorgehensweise, mit der übereilte und zu vage Maßnahmen, die zu noch mehr Ungleichheit führen könnten, vermieden werden sollen.
Allgemein gesagt plädieren die Sachverständigen für gezielte und leicht zugängliche finanzielle Unterstützung, die es den Ärmsten ermöglicht, ihre Wohnungen und Verkehrsmittel anzupassen. Gleichzeitig würden die Steuersysteme weiter überarbeitet, um so die Energieeffizienz zu fördern und die CO2-Emissionen zu senken.
Kommunikation, und vor allem eine positive und persönliche Kommunikation, spielt
bei der Teilnahme an der Energiewende aller eine wesentliche Rolle. Es besteht ein riesiger Informationsbedarf, sowohl zur Energiewende an sich als auch zu den bestehenden Maßnahmen und Fördermöglichkeiten. Eine Kommunikation, die auf den individuellen Beiträgen der einzelnen Haushalte basiert, kann auch dabei helfen, das in den Diskussionsgruppen zu Tage getretene Ohnmachtsgefühl zu mindern.
Für Europa
Auf europäischer Ebene empfiehlt der Bericht die Lockerung der europäischen Steuervorschriften und die Gewährung europäischer Kredite an die Mitgliedstaaten, wie sie während der Covid-19-Pandemie erdacht wurden, um den Regierungen bei schnellen und massiven Investitionen in eine umweltfreundlichere Infrastruktur unter die Arme zu greifen. Außerdem werden Beispiele der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen politischen Ebenen, der Zivilgesellschaft und den Unternehmen zur Bekämpfung der Energiearmut sowie erfolgreiche Modelle von Energiegemeinschaften genannt, die von städtischen Genossenschaften für erneuerbare Energien bis zu öffentlichen Verkehrsmitteln auf Abruf in ländlichen Gebieten reichen. Dabei geht es immer darum, niemanden zu vergessen.
Zu den Empfehlungen für Europa
Für Belgien
Für unser Land wird unter anderem vorgeschlagen, die Bedingungen für Förderfähigkeit zu verbessern, die Beihilfen zu vereinfachen und zusammenzufassen, aber auch den Zugang zu den Beihilfen zu automatisieren, so dass Personen, die Anspruch darauf haben, diese auch automatisch erhalten. Bürgerinnen und Bürger und auch die Sachverständigen plädieren für die Entwicklung innovativer Ansätze, die den schwachen Bevölkerungsgruppen den Zugang zu erneuerbarer Energie in Wohnanlagen und sozialen Wohnungen ermöglichen. Dank lokaler Energiegemeinschaften, zu denen alle Zugang haben und in denen Kosten und Nutzen erklärt würden, könnte ein Zwei-Klassen-System bei der Energiewende vermieden werden. Zusätzlich zur Förderung einer grünen, effizienten und bezahlbaren Mobilität, spricht sich der Bericht auch für eine Verringerung des Verkehrsaufkommens aus, indem Wohngebiete angemessen geplant und ausgestattet werden.
Zu den Empfehlungen für Belgien
Angesichts der gegenwärtigen Energiekrise sind diese europäischen und nationalen Empfehlungen, die auf den Bedürfnissen und Sorgen der von Armut Betroffenen beruhen, noch sinnvoller als ohnehin schon. Allein die Tatsache, dass diese Mitmenschen angehört werden und die Realität vor Ort bei der Politikgestaltung berücksichtigt wird, ermöglicht ein effektives und zielgerichtetes Handeln und Reagieren zum Nutzen aller.
Das Projekt ‚Fair Energy Transition for All‘
Auf Initiative der König-Baudouin-Stiftung und in Zusammenarbeit mit fünf philanthropischen Organisationen (Open Society European Policy Institute / Open Society Foundations, Mercator Stiftung, der IKEA Foundation, Deutsche Bundesstiftung Umwelt und Fondazione Cariplo ) haben zwischen 2020 und 2021 900 sozial benachteiligte Bürgerinnen und Bürger in neun europäischen Ländern an Diskussionsgruppen teilgenommen. Dies hat zu einer Reihen von nationalen und europäischen Empfehlungen geführt, die von 150 Sachverständigen erarbeitet wurden. Ihre Schlussfolgerungen wurden 2022 den Teilnehmenden der Diskussionsgruppen vorgelegt und vor Veröffentlichung gemeinsam überarbeitet. So sollte sichergestellt werden, dass sie die Sorgen der Schwächsten, deren Stimme nur selten gehört wird, auch wirklich widerspiegeln.