Eine Million Euro für Forschungsarbeiten zu seltenen Demenzformen
Prof. Dr. Rosa Rademakers erhält den Generet-Preis für seltene Krankheiten
Die Antwerpener Genetikerin Rosa Rademakers wird für ihre Forschung zu seltenen Demenzformen mit dem Generet-Preis für seltene Krankheiten ausgezeichnet. Dieser Preis des von der König-Baudouin-Stiftung verwalteten Generet-Fonds ist mit einer Million Euro dotiert. Es handelt sich somit um die prestigeträchtigste Auszeichnung für seltene Krankheiten in Belgien und Europa. Prof. Dr. Rosa Rademakers ist die erste Frau, die mit dem Generet-Preis ausgezeichnet wird und gleichzeitig auch die jüngste in der Reihe der Preisträger. Die Jury war angesichts ihrer internationalen Karriere und des hoch gesteckten Ziels, mit ihrer Forschung zu einer besseren Lebensqualität von an Demenz Erkrankten beizutragen, voll des Lobes.
Bei frontotemporaler Demenz sind Zellen im vorderen (frontalen) und seitlichen (temporalen) Teil des Gehirns betroffen. Diese Form der Demenz kann schon in relativ jungen Jahren auftreten. Oft sind die Betroffenen zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt. Die Krankheit ist unheilbar und die Patienten sterben in der Regel innerhalb von zehn Jahren nach der Diagnose. Die Auswirkungen dieser Krankheit auf Patienten und Familienangehörige sind daher immens. Ungefähr eine von 5.000 Personen ist von dieser Demenzform betroffen.
Rosa Rademakers hat sich der Erforschung der Ursachen dieser degenerativen Hirnkrankheit verschrieben. Mit ihrer Forschungsarbeit an der renommierten Mayo Clinic Jacksonville (Florida, USA), an der sie 14 Jahre tätig war, erlangte sie internationale Bekanntheit. Rosa Rademakers wurde dort 2014, damals war sie 36 Jahre alt, zur Hochschullehrerin ernannt, der jüngsten in der Geschichte der Mayo Clinic. 2019 kehrte sie dann nach Belgien zurück, um das VIB Zentrum für Molekulare Neurologie der Universität Antwerpen zu leiten. Dort hatte sie 2004 ihren Doktortitel erhalten.
Fokus auf Verhaltens- und Sprachprobleme
„Im Gegensatz zu Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind, leiden Menschen mit frontotemporaler Demenz nicht so sehr an Gedächtnisstörungen“, erklärt Rosa Rademakers. „Es treten jedoch starke Verhaltens- und Persönlichkeitsänderungen auf: Sie treten ungehemmt auf, ihr Sozialverhalten ist weniger angepasst, manchmal sogar aggressiv. Menschen, die an frontotemporaler Demenz erkrankt sind, haben oft auch Sprech- und Sprachstörungen. Es handelt sich hier um eine Gruppe verschiedener degenerativer Hirnerkrankungen, von denen manche erblich sind und andere nicht. Auch sind die Störungen, im Hirn nicht bei allen identisch.“
Gene und Krankheitsmechanismen
Rosa Rademakers und ihr Team haben wichtige Gene identifiziert, die zu dieser Krankheit führen und konnten auch die molekularen Krankheitspfade verdeutlichen. Bis jetzt lag das Hauptaugenmerk der Forschung auf zwei Krankheitsformen: In der ersten sammelt sich das sogenannte Tau-Eiweiß im Hirn der Patienten an, in der zweiten Form handelt es sich um eine Anhäufung des Eiweißes TDP-43. Mit der Million Euro aus dem Generet-Preis will Rosa Rademakers eine dritte, noch seltenere Form der frontotemporalen Demenz angehen, bei der sich das FUS-Protein ansammelt.
„Diese dritte Untergruppe haben wir zuerst 2009 beschrieben”, erläutert Rosa Rademakers. „Weniger als 10% aller an frontotemporaler Demenz Erkrankten leiden an dieser Unterform. Tatsächlich wissen wir über diese Erkrankung noch sehr wenig. Eine endgültige Diagnose ist erst nach dem Tod des Patienten, anhand einer Autopsie möglich. Es gibt also nur sehr wenige Patienten, die der Forschung zur Verfügung stehen.“
Internationale Zusammenarbeit
In Forscherkreisen ist Rosa Rademakers als Networkerin und Begründerin von Konsortien bekannt. „Die Verfügbarkeit von Daten, Blutproben und Gehirngewebe unserer Patientinnen und Patienten ist für unsere Forschungsarbeit ausschlaggebend“, sagt die Antwerpener Genetikerin. „Die Mitarbeit der Patientinnen und Patienten ist für unsere Arbeit von wesentlicher Bedeutung. Das Zusammentragen dieses Materials ist jedoch sehr zeitaufwändig und bedarf internationaler Zusammenarbeit.“
Für die neue FUS-Studie hat Rosa Rademakers bereits 2010 ein internationales Konsortium mit Neurologen und Pathologen aus Europa, Nordamerika und Australien gegründet. „Wir haben mehr als zehn Jahre gebraucht, um Material von genügend Patientinnen und Patienten zu sammeln, aber jetzt können wir mit der Forschung beginnen“, sagt Rosa Rademakers entschlossen. „Auch im Bereich technologische Expertise bündeln wir unsere Kräfte mit internationalen Partnern, wie z. B. Prof. Dr. Dorothee Dormann von der Johannes Gutenberg-Universität und dem Institut für Molekulare Biologie in Mainz, Deutschland, die eine anerkannte Expertin für das FUS-Protein und ähnliche Proteine ist.“
Dorothee Dormann: „Mit den Mitteln des Generet-Preises möchten wir untersuchen, warum sich FUS im Gehirn von Patienten ansammelt, welche Rolle dieses Eiweiß genau spielt und mit welchen anderen Biomolekülen und Proteinen es agiert.“ „Unsere Forschung wird uns bis in die Moleküle innerhalb der einzelnen Gehirnzellen bringen“, ergänzt Rosa Rademakers. „Das ist dank der neuesten Technologien seit kurzem auch möglich.“
Ansätze für Diagnose und Therapie
„Die Erforschung des der molekularen Ursachen der verschiedenen Formen der frontotemporalen Demenz verschafft uns nicht nur einen Einblick in die zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen“, sagt Rosa Rademakers abschließend, „sie ermöglicht auch einen Ansatz für bessere Diagnose und besseres Follow-Up und letztlich auch für Therapiemöglichkeiten.“ Vor kurzem hat das Unternehmen Prevail Therapeutics, eine Tochtergesellschaft von Lilly, eine klinische Studie zur Behandlung der TDP-43-Form der frontotemporalen Demenz gestartet. Diese klinische Studie beruht auf der Grundlagenforschung aus Antwerpen und Jacksonville, an der Rosa Rademakers beteiligt war.
Über den Generet-Preis
Der von der König-Baudouin-Stiftung verwaltete Generet-Fonds strebt danach, in unserem Land einen starken, international anerkannten Forschungs-Hub auf dem Gebiet seltene Krankheiten zu schaffen. Er zeichnet jedes Jahr einen Spitzenforscher oder eine Spitzenforscherin für die geleistete Forschung im Bereich seltene Krankheiten mit einem Preis in Höhe von einer Million Euro aus. Der Fonds legt nicht fest, um welche Krankheit(en) es dabei gehen muss: Alle seltenen Krankheiten werden berücksichtigt, genauso wie Methoden, die die Forschung für verschiedene Krankheiten voranbringen können.
Der erste Generet-Preis ging 2018 an Prof. Mikka Vikkula (Institut de Duve - UCLouvain) für seine Forschung zu genetischen Ursachen vaskulärer Anomalien. Anfang 2020 wurde der Neurologe Dr. Steven Laureys (Coma Science Group - Universität und Universitätsklinik Lüttich), für seine Forschung im Bereich veränderter Bewusstseinszustand ausgezeichnet. 2021 ging der Preis an Prof. Pierre Vanderhaegen (VIB-KU Löwen Zentrum für Gehirnforschung und ULB) für seine Arbeit im Bereich genetische Ursachen seltener Hirnkrankheiten.
Zu Rosa Rademakers
Prof. Dr. Rosa Rademakers gehört schon seit sieben Jahren zu den meistzitierten Forschenden im Bereich Neuro- und Verhaltenswissenschaften. 2016 wurde sie mit dem renommierten Potamkin Prize for Research in Pick's, Alzheimer's and Related Disorders der American Academy of Neurology ausgezeichnet. 2019-2020 hatte sie den Vorsitz der International Society for Frontotemporal Dementia (ISFTD) inne und seit 2008 ist sie Mitglied des Medical Advisory Committee der Association for Frontotemporal Dementia (AFTD), der amerikanischen Patientenvereinigung. Letztes Jahr wurde sie zum Mitglied der Europäischen Organisation für Molekularbiologie (EMBO) gewählt.